„Die Digitalisierung war vor 20 Jahren“ Interview der Computerwelt mit VÖSI Präsident Peter Lieber

29. September 2017 IT-Standort

Sie sind seit 2014 Obmann des VÖSI und wurden Ende 2016 in ihre zweite Amtsperiode gewählt. Sie sind unter anderem mit dem Ziel, die heimische Softwarebranche zu internationalisieren, angetreten. Wie zufrieden sind Sie bis dato mit der Umsetzung ihrer Ziele?

Die Herausforderungen der ersten Amtszeit haben in erster Linie darin bestanden, in die Fußstapfen meines Vorgängers zu treten, der fast 28 Jahre Präsident war. Das war nicht so einfach. Es gab viele eingespielte Regeln und Netzwerke. Wir hatten mit dem Wechsel auch mit einem Mitgliederschwund zu kämpfen. Wir haben aber mittlerweile diese Zahl nicht nur ausgeglichen sondern sogar noch erhöhen können. Wir haben heute nicht nur alteingesessene Unternehmen sondern auch Startups im Verbund, die noch nicht länger als fünf Jahre existieren. Da bin ich doch recht stolz darauf. Heute haben wir knapp 40 Unternehmen. Obwohl fast 80 Prozent des Umsatzes in Wien generiert wird, war es mir besonders wichtig, auch die Bundesländer strak einzubinden. Erst kürzlich haben wir ein Vorarlberger Unternehmen dazu bekommen, das Marktführer in seinem Bereich ist.

Besonders wichtig war und ist mir auch die Ausbildungssituation. Es ist Fakt dass IT als ein Mangelberuf gilt. Ich glaube aber, dass wir im Grunde genug Fachkräfte haben, die aber die falschen Qualifikationen haben. Es nützt nichts, wenn ich beispielsweise eine gewisse Programmiersprache beherrsche, wenn am Markt eine ganz andere verlangt wird. Österreich ist im Grunde ein Ausbildungsparadies. Wir können jederzeit auch berufsbegleitende Fortbildungen machen und der mache ich mir da keine Sorgen. Auch bei den Jugendlichen haben wir in Österreich den Vorteil der HTLs, das haben viele andere Länder nicht. Es gilt hier aber, vor allem bei den 13-14 jährigen und hier vor allem in Wien Aufklärungsarbeit zu leisten und diese jungen Menschen für unsere Branche zu begeistern. Hier kann Wien auch von anderen Bundesländern lernen.

Sie sind also mit dem Angebot an Aus- und Weitebildung in Österreich zufrieden?

Ja und nein. Wir sind doch teilweise 10 bis 15 Jahre hinten nach, wenn es um die Lehrpläne geht. Das Berufsbild des Lehrlings ist doch etwas veraltet, es gibt kaum Unternehmen, die diese Bandbreite erfüllen können. Da müsste es Anpassungen geben. Auch HTLs haben erst vor zehn Jahren begonnen, Informatik als Ausbildungszweig anzubieten. Bei der Ausbildung für einen bestimmten Job muss man auch die Unternehmen selbst aber auch die Wirtschaftskammer viel mehr in die Verantwortung nehmen.  Die Ausbildungsverantwortung kann nicht nur beim Staat liegen.

Haben Sie als VÖSI-Präsident aber auch als Unternehmer und Firmengrüner Forderungen oder Wünsche an die Politik? Immerhin wird im Herbst ja eine neue Regierung gewählt?

Als ich angetreten bin, wollte ich eigentlich mit diesen ständigen Forderungen aufhören, musste aber feststellen dass es ganz ohne Forderungen auch nicht geht. Wir haben Jahre lang einen Forderungskatalog an die Politik formuliert, der unter anderem auch einen Minister oder zumindest Staatssekretär inkludiert hat, den es ja letztendlich auch gegeben hat, zumindest mit einigen IT-Agenden. Meine größte Forderung gilt allerdings Österreichs größtem Bodenschatz und das ist der Nachwuchs. Es muss jungen Menschen klargemacht werden, dass IT eine große Rolle in der exportorientierten Wirtschaft spielt und da kann gar nicht genug Geld investiert werden. Man sollte sich sehr genau überlegen, ob man ein reines Tourismusland sein will, immerhin hat die IT-Wirtschaft den Tourismus allein in Wien schon dreimal überholt. Die Idee der Breitbandmilliarde war ja ganz gut, aber die Umsetzung ist eine Katastrophe. Das ist eine Art Zwangsföderalismus. Es muss nicht jedes Kuhdorf 100 Mbit haben aber ein Gigabit in den Ballungszentren wäre für Unternehmen durchaus interessant und auch notwendig. Da braucht es einfach mehr Flexibilität.

Sie haben die Wertschöpfung der IT erwähnt. Das gilt ja auch insbesondere dank Software, die stark an Bedeutung gewonnen hat und mit Cloud und Co. auch für die Digitale Transformation entscheidend sein wird. Wie digital sind Österreichs Unternehmen Ihrer Ansicht nach?

Digitalisierung ist eigentlich wieder nur ein Schlagwort, das eigentlich daneben greift. Solche Schlagwörter brauchte s aber offenbar. Von analog auf digital war vor 20 Jahren aktuell, die Digitalisierung ist eigentlich schon längst vorbei. Die meisten Unternehmen sind de facto digitalisiert. Was aber eigentlich gemeint ist sind alternative Geschäftsmodelle und neue Geschäftsfelder für die unternehmen. Ein für österreichische Verhältnisse großes Unternehmen in der Maschinenbaubranche mit 1.000 Mitarbeiter, das ich vor kurzem besucht habe, beschäftigt 15 IT-Mitarbeiter, ein analoges Unternehmen in Deutschland mit derselben Mitarbeiterzahl hat 150, also zehn Mal so viele Mitarbeiter in der IT. Da gibt es einen massiven Aufholbedarf. Wenn man sich ansieht, wie österreichische Unternehmen teilweise Software entwickeln dann fühlt man sich in die Steinzeit der IT zurück versetzt. Man muss sich ständig weiterentwickeln und sich mit den neuesten Trends beschäftigen, anders geht es heutzutage nicht mehr. Eine Software wird nicht mehr geschrieben und das war es dann, sie muss ständig weiterentwickeln werden, das ist eine never ending story. Wer dafür nicht bereit ist, wird am Markt große Schwierigkeiten bekommen.

Sind heimische Unternehmen durch die letzten Jahre und den guten Geschäftserfolg zu verwöhnt. Braucht es Krisenzeiten um drastisch umdenken zu können?

Das ist durchaus möglich. Es wundert mich auch sehr, wenn ich immer wieder lesen, das die Digitalisierung keine Arbeitsplätze kosten wird. Das mag grundsätzlich stimmen, aber die Anforderungen an die Mitarbeiter werden sich massiv erhöhen. Die simplen Arbeiten werden in Zukunft sicher Roboter erledigen, auch der diskutierte Mindestlohn wird hier eine Rolle spielen.. Unternehmen werden mehr und mehr auf Maschinen und Roboter setzen. Jene Mitarbeiter, die sich nicht weiterbilden werden über kurz oder lang nicht nur arbeitslos sondern auch sinnlos geworden sein. Damit muss man sich auseinandersetzen. Da ist die Politik massiv gefordert.

Haben Sie das Gefühl, dass heimische Unternehmen international reüssieren können?

Es ist interessant, dass vor allem österreichische Spitzenmanager international sehr erfolgreich sind, da gibt es wirklich viele Beispiele, vor allem in Deutschland. Es gibt auch einige Softwareunternehmen, die erst durch den Schritt ins Ausland überhaupt erfolgreich geworden sind, weil ihr Produkt in Österreich nicht gebraucht wurde oder die nötige Skalierung gefehlt hat. Es gibt auch ein eigenartiges Phänomen in Österreich, lieber internationale Unternehmen zu beauftragen als heimische.  Offenbar ist das was aus dem eigenen Land kommt, nicht gut genug. Da sollten wir uns mal an die Nase nehmen. Ich glaube aber, dass die meisten Erfolgsstorys, die wir in Zukunft hören werden, auf Software basieren, und damit meine ich jetzt nicht nur App-Entwickler al la Runtastic oder mysugr. Es wird kaum mehr ein Unternehmen in der IT geben, bei dem Software nicht eine entscheidende Rolle spielen wird. Es gibt aber viele Softwareunternehmen, denen ich die Internationalisierung absolut zutraue, aber da gehört auch viel Mut dazu.

Momentan scheinen aber besonders IT-Startups besonders erfolgreich zu sein. Entwickelt sich Österreich sukzessive zu einem Startup-Land?

Ich glaube der Startup-Hype ist etwas übertrieben. Es ist aber gut, dass nicht zuletzt auch die Politik erkannt hat, dass man diesen Unternehmen eine gewisse Sichtbarkeit geben muss und dass das Unternehmertum per se ehr wichtig ist. Österreich hat ja hier viele Jahre hinterher gehinkt. Es hab viele Jahre eine sehr beamtenorientierte oder sicherheitsorientierte Grundeinstellung. Das ist in Deutschland aber ganz ähnlich. Im anglikanischen Markt ist das ganz anders. Noch viel wichtiger als Startups die darauf aus sind so rasch wie möglich Geld zu verdienen und dann möglichst schnell Teil einen Großkonzerns zu werden, sind Jungunternehmer die an eine Idee glauben und dann auch dabei bleiben und versuchen etwas zu bewegen. Da gibt es viel mehr als nur Startups. Diese Geschichten werden noch viel zu wenig erzählt. Da gibt es viele potentielle hidden champions, die einfach übersehen werden. Wir haben aber in Österreich auch ein EPU-Problem, weil es sich kaum jemand leisten kann und will, Mitarbeiter anstellen. Da entsteht dann natürlich ein Skalierungsproblem. Da müssen EPU auch besser gefördert und unterstützt werden.

Wie beurteilen Sie die Förderlandschaft in Österreich?

Es gibt grundsätzlich eine sehr starke Förderlandschaft in Österreich Es ist zwar etwas mühsam geworden, weil es viele Geier gibt, aber wenn Du wirklich eine gute Idee hat dann bekommst Du auf die eine oder andere Art auch eine Förderung in Österreich. Man muss aber natürlich auch etwas geben und nach dem Prinzip give and take handeln und viel preisgeben und die Förderrichtlinien erfüllen.

Sehen sie es auch als die Aufgabe des VÖSI, ein Lobbyist für die Branche zu sein?

Ich sehe diese Rolle beim VÖSI sogar sehr stark. Natürlich bin ich meinen Mitgliedern näher als meinen Nicht-Mitgliedern. Wobei wir auch immer Nicht-Mitglieder unterstützen. Grundsätzlich glaube ich, dass wir auch bei unserem Mitglieder hidden champions haben, etwa das Kärntner Unternehmen Geolantis, die es geschafft haben von Australien bis in die USA ein Platzhirsch in ihrem Segment zu werden. Oder auch Connecting Software, die im Bereich Integration von  Systemen einen sehr interessanten Technologiemix gefunden haben, aber auch kaum Kunden in Österreich haben. Eich denke dass der VÖSI hier auch sehr viel PR oder Marketingaufgaben hat, dafür brauchen wir aber auch mehr Mitglieder, damit wir eine stärkere Position gegenüber der Politik haben. Ich denke aber dass der VÖSI eine sehr gute Arbeit macht, wenn es um Arbeitsplätze für Jugendliche geht oder aber auch bestimmte Netzwerke zu nutzen.

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